Was ist die Nebenklage?
Verletzte einer Straftat haben im Strafprozess zunächst die Stellung von einfachen Zeug*innen. Diese Rechtsstellung ist relativ schwach. Die Nebenklage ermöglicht es, bei schweren Delikten, insbesondere bei Sexualdelikten, aktiv und stärker auf das Strafverfahren einzuwirken.
I. Welche Rechte hat die Nebenklage?
Akteneinsichtsrecht
(§§ 397 Abs. 1, 406e Abs. 1 StPO)
Mit der Akteneinsicht, die außerhalb des Gerichts nur über eine*n Anwält*in erfolgen kann, können Informationen über den Fortgang des Strafverfahrens gewonnen werden. Die Akte enthält beispielsweise Informationen darüber, ob der*die Täter*in geständig ist, ob noch andere Zeug*innen ausgesagt haben oder was z. B. das verletzte Kind ausgesagt hat.
Das Recht auf Akteneinsicht wird allerdings in jüngster Zeit zunehmend eingeschränkt. Die Gerichte befürchten eine Beeinflussung der verletzten Zeug*innen durch Kenntnis des Akteninhalts. Damit sei die Wahrheitsfindung gefährdet. Teilweise wird Akteneinsicht daher nicht mehr oder nur eingeschränkt bewilligt.
Wir als Nebenklage e.V. setzen uns für ein uneingeschränktes Recht auf Akteneinsicht ein. Es handelt sich um eine unzulässige Beschneidung der Nebenklagerechte.
Anwesenheitsrecht
(§ 397 Abs. 1, S.1 StPO)
Bei polizeilichen oder richterlichen Vernehmungen der verletzten Person und im Falle der Haftprüfung der*des Beschuldigten ist die Nebenklagevertretung zur Anwesenheit berechtigt, sofern dadurch der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird.
In der Hauptverhandlung ist sowohl die verletzte Person, wenn sie dies möchte, als auch die Nebenklagevertretung zur Anwesenheit an allen Verhandlungstagen berechtigt. Im Einzelfall empfiehlt es sich jedoch meist, dass die verletzte Person erst nach ihrer Aussage im Verhandlungssaal anwesend ist.
Audiovisuelle Vernehmung
(§ 247 a StPO)
Bei dringender Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des*der Zeug*in, kann angeordnet werden, dass der*die Zeug*in sich an einem anderen Ort aufhält und die Aussage zeitgleich per Video in den Sitzungssaal übertragen wird.
Antrag auf Ausschluss des Angeklagten
(§ 247 StPO)
Die Nebenklagevertretung kann beantragen, dass der*die Angeklagte während der Vernehmung der verletzten Person das Sitzungszimmer verlassen muss, wenn zu befürchten ist, dass der diese bei einer Vernehmung in Gegenwart des*der Angeklagten nicht die Wahrheit sagt oder die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht.
Darüber hinaus kann bei Vernehmung eines Kindes unter 18 Jahren der*die Angeklagte ausgeschlossen werden, wenn ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Kindes zu befürchten ist.
Ein Ausschluss des*der Angeklagten für die Zeit der Vernehmung der verletzten Person kann auch erfolgen, wenn diese bei Anwesenheit des*der Angeklagten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen würde.
Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit
(§§ 171 b, 172 GVG)
Auf Antrag der Nebenklagevertretung kann unter bestimmten Voraussetzungen für Teile der Hauptverhandlung die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein verletztes Kind unter 18 Jahren als Zeug*in vernommen wird oder eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit einer*s Zeug*in zu besorgen ist.
Wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich von Prozessbeteiligten, Zeug*innen oder Verletzten zur Sprache kommen, die sehr intim sind, kann ebenfalls die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn nicht das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Das ist in der Regel bei Sexualdelikten der Fall.
Beanstandungsrecht
(§ 397 Abs. 1 i.V.m. § 238 Abs. 2 StPO; § 397 Abs. 1 i. V. m. § 242 StPO)
Unzulässige Fragen der Verfahrensbeteiligten sowie Anordnungen des*der vorsitzenden Richter*in können durch die Nebenklage beanstandet werden.
Beweisantragsrecht
(§ 397 Abs. 1 i.V.m. § 244 StPO)
Die Nebenklage ist befugt, Beweisanträge zu stellen, z. B. auf Vernehmung von Zeug*innen, Einholung von Sachverständigengutachten, Verlesung von Urkunden.
Erklärungsrecht
(§§ 397 Abs. 1 Satz 3, 257, 258 StPO)
Durch die Nebenklage können im Prozess Erklärungen abgegeben werden, z. B. zum Ergebnis einer Beweisaufnahme. Die Nebenklage hat zudem das Recht, nach Schluss der Beweisaufnahme einen Schlussvortrag (Plädoyer) zu halten.
Fragerecht
(§ 397 Abs. 1, S. 3 i. V. m. §§ 240 Abs. 2, 241 a StPO)
Die Nebenklage ist berechtigt, in der Hauptverhandlung das Fragerecht auszuüben. Die Nebenklagevertretung kann dadurch dem*der Angeklagten, den Zeug*innen sowie Sachverständigen Fragen stellen. Zeug*innen unter 18 Jahren werden grundsätzlich allein von der*dem Vorsitzenden Richter*in befragt.
Rechtsmittelbefugnisse
(§ 400 StPO)
Wird die von der verletzten Person angezeigte Tat vom Gericht nicht zur Hauptverhandlung zugelassen, kann der*die Nebenkläger*in hiergegen Beschwerde einlegen, wenn es sich um eine Tat handelt, die grundsätzlich zum Anschluss zur Nebenklage befugt (§ 395 StPO).
Gegen ein Urteil kann grundsätzlich Berufung oder Revision eingelegt werden. Die Nebenklage kann das Urteil dabei allerdings nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder dass der*die Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss der Nebenklage berechtigt.
Das bedeutet, eine härtere Strafe kann mit einem Rechtsmittel nicht erreicht werden. Die Nebenklage hat aber die Befugnis, gegen ein freisprechendes Urteil ein Rechtsmittel einzulegen.
Richterliche Videovernehmung
(§ 58a StPO)
Verletzte unter 18 Jahren sowie Verletzte von Sexualdelikten können bereits im Ermittlungsverfahren im Wege einer richterlichen Videovernehmung vernommen werden. Die Aufzeichnung der Aussage kann sodann in die Hauptverhandlung eingebracht werden. Dadurch sollen Mehrfachvernehmungen von Verletzten vermieden werden.
Durchsetzung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen
(§ 403 StPO)
Die verletzte Person kann im Strafverfahren Schmerzensgeld oder Schadensersatz geltend machen, obwohl es sich hierbei eigentlich um zivilrechtliche Ansprüche handelt. Dieses Verfahren heißt Adhäsionsverfahren. Der Antrag muss vor Ende der Beweisaufnahme gestellt werden.
II. Unter welchen Voraussetzungen kann die Nebenklage zugelassen werden?
Der erhobenen öffentlichen Klage (Anklage) oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach §§ 174 – 182, 184i, 184k StGB (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung)
§§ 211 und 212 StGB, die versucht wurde (Mord, Totschlag)
§§ 221, 223 – 226a und 340 StGB (manche Körperverletzungsdelikte)
§§ 232 – 238, 239 Abs. 3, § 239 a, 239 b und 240 Abs. 4 StGB (Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Zwangsheirat, sexuelle Nötigung)
§ 4 GewSchG (Verstoß gegen Gewaltschutzanordnungen).
Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 – 189 StGB (Beleidigungsdelikte), 229 (fahrlässige Körperverletzung), 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 (Diebstahl mit Waffen und anderes), 249 – 255 (Raubdelikte), 316 a StGB (räuberischer Angriff auf Kraftfahrer) verletzt ist, kann sich ebenfalls der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.
Die gleiche Befugnis steht Personen zu, deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehepartner*innen oder Lebenspartner*innen durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.
Die Antragstellung wirkt ab Erhebung der Anklage oder des Antrags im Sicherungsverfahren. Allerdings kann sich der*die Verletzte auch bereits im Ermittlungsverfahren vor der Polizei oder Staatsanwaltschaft anwaltlich unterstützen lassen.
Ob der Staat die Kosten trägt oder ob die Kosten selbst übernommen werden müssen, hängt davon ab, ob ein Delikt nach § 397a StPO vorliegt. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter Gebühren und Kosten.